Qualitätskriterien für schulbezogene Bildungsarbeit Globalen Lernens

aus: Richter, Sonja; Brux, Uta (2015): Qualitätskriterien schulbezogener Bildungsarbeit Globalen Lernens. In: Richter, Sonja (Hrsg.): Qualität im Globalen Lernen in der Schule – Im Kontext schulischer und außerschulischer Akteure, S. 12-14. Comenius-Institut-Münster. Hier gehts zum Beitrag als PDF

Kooperation von schulischen und außerschulischen Akteuren

Zivilgesellschaftliche Bildungsanbieter – insbesondere entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – verfügen über eine besondere Expertise im Feld entwicklungspolitischer Bildung. Curriculare Inhalte können mit einem externen Blick vertieft, Veränderungsprozesse in der „Organisation Schule“ angestoßen werden. Obwohl Globales Lernen im Kontext des schulischen Bildungsauftrags konzeptionell und finanziell in die Zuständigkeit der Kultusministerien der Länder fällt, empfiehlt der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (KMK/BMZ 2015) für die Umsetzung des schulischen Bildungsauftrags die Kooperation von Schulen und außerschulischen Akteuren.

Qualität im Globalen Lernen in der Schule: Die Debatte

Die Qualitätsdebatte rund um Globales Lernen im deutschsprachigen Raum ist geprägt von theoretisch-konzeptionellen Erkenntnissen zu Qualität und Schulentwicklung (vgl. Rosenboom, Wenzel 2012; Bergmüller 2012), von Qualitätskriterien aus der Praxis entwicklungspolitischer Bildungsarbeit (z.B.: VENRO 2012a; Transfer 21 2007, Welthaus Bielefeld 2007) und einer Wirkungsdebatte (VENRO 2012b, Bergmüller et. al 2013, VENRO 2014), die übergeht in Handreichungen zu Wirkung und (Selbst-)evaluation (BER 2012, BER 2015; Scheunpflug, Bergmüller, Schröck 2010).

Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich als Beitrag zum Qualitätsentwicklungsprozess zur schulbezogenen Bildungsarbeit Globalen Lernens, der von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst angestoßen wurde. Ziel des Prozesses ist ein fachlicher Austausch über Qualitätsmerkmale für schulbezogene Bildungsarbeit Globalen Lernens. Ein erster Entwurf von Qualitätskriterien zur Zusammenarbeit von schulischen und außerschulischen Akteuren im Globalen Lernen wurde auf der ersten GLiS-Fachtagung im März 2015 vorgestellt und kommentiert. Weitere Anmerkungen, insbesondere aus der Praxis, wurden auch im Nachgang zur Tagung aufgenomNRO_können Schule nicht verändernmen und in einer Konsultation im April 2015 mit Vertreter(innen) aus Praxis, Wissenschaft und Förderern diskutiert. Die in diesem Prozess entwickelten Kriterien verstehen sich als Orientierungshilfe für schulbezogene Bildungsangebote Globalen Lernens, die in Zusammenarbeit von schulischen und außerschulischen Akteuren stattfindet. Die Federführung bei Planung und Durchführung dieser Aktivitäten liegt überwiegend bei den außerschulischen Akteuren, insbesondere Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die Qualitätskriterien sind daher überwiegend aus der Perspektive der NGOs formuliert, wobei der Einbezug der Schulperspektive einen zentralen Aspekt darstellt.

Die Ergebnisse dieser Diskussion fließen in die Entwicklung von Qualitätskriterien für die Förderung schulbezogener Bildungsprojekte bei Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst ein.

 Die VENRO-Qualitätskriterien für entwicklungspolitische Bildungsarbeit

Für die Bildungspraxis vieler NGOs sind die VENRO-Qualitätskriterien für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit (VENRO 2012) leitend. Sie beschreiben Merkmale „guter“ Bildungsarbeit Globalen Lernens unabhängig von spezifischen Bildungsbereichen. Diese Kriterien beschreiben Standards in der Qualität der Vorbereitung von Bildungsmaßnahmen sowie für die inhaltliche und die methodisch-didaktische Qualität. Wir wollen diese Kriterien auch als Grundlage für die schulische Bildungsarbeit voraussetzen. Für die schulische Bildungsarbeit Globalen Lernens wurden von VENRO zudem zwei relativ allgemeine Qualitätsdimensionen erarbeitet: Die Berücksichtigung schulischer Rahmenbedingungen und die Anschlussfähigkeit und Einbindung in den Unterricht. Beide Qualitätsaspekte können in den nachfolgend aufgeführten Kriterien wiedergefunden werden.

Die von VENRO genannten schulbezogenen Qualitätsaspekte finden sich in den nachfolgend aufgeführten Kriterien wieder, die allgemeinen Kriterien für „gutes“ Globales Lernen beziehen sich auch auf den schulischen Bereich und werden als übergeordnete Kriterien vorausgesetzt.

Qualitätskriterien für schulbezogene Bildungsarbeit Globalen Lernens

Ein zentrales Ergebnis der Diskussionen um Qualitätskriterien ist, dass schulbezogene Bildungsarbeit Globalen Lernens in Kooperation mit außerschulischen Akteuren auf zwei Ebenen stattfindet. Zum einen auf der Projektebene, die von einem kurzfristigen Wirkungsradius gekennzeichnet ist. Ziel  von einzelnen Bildungsprojekten ist oft eine „Türöffnerfunktion“ mit der Qualitätskriterien_Illustration_backup_Beirtrag_Richter_Brux_Vision, längerfristig zusammen zu arbeiten. Die zweite Ebene ist die der Schulentwicklungsprozesse Globalen Lernens. Zieldimensionen sind hier längerfristiger und betreffen eine Veränderung des Schulprofils durch Umsetzung vieler unterschiedlicher Maßnahmen. Mit NGOs
gestaltete Schulentwicklungsprozesse im Feld Globalen Lernens sind meist Ergebnis einer längerfristigen Zusammenarbeit, der viele Einzelprojekte vorangegangen sind. Die hier entwickelten Kriterien sollen für beide Aktivitätenebenen gelten.

 1. Prozessorientierung

Sowohl kurzfristige Projekte als auch größer angelegte, längerfristige Aktivitäten sollen im Kontext eines übergeordneten Prozesses stehen, in welchem die angebotene Bildungsaktivität als Baustein verstanden wird. Bei kurzfristigen Bildungsangeboten bedeutet dies eine Einbettung in den Unterricht durch entsprechende Vor- und Nachbereitung, bei längerfristigen Schulentwicklungsprozessen fügen sich die Aktivitäten in die schulischen Strukturen in Anlehnung an den „Whole-School-Approach“ ein. Diesem liegt ein ganzheitliches Verständnis von Globalem Lernen in der Schule zugrunde, in welchem verschiedene Gruppen im schulischen System in den Prozess einbezogen werden und sich auch die Schule selbst als handelnde Institution wahrnimmt. Das Qualitätskriterium der Prozessorientierung soll verhindern, dass NGOs dauerhaft die Rolle von  „Eintagsfliegen“ einnehmen und so globale Themen losgelöst von der Vision einer langfristigen, ganzheitlichen Integration nur punktuell „eingekauft“ werden. Die Prozessorientierung soll bewirken, dass sich auch die schulischen Akteure mit Inhalten und Methoden Globalen Lernens beschäftigen.

2. Unterstützungsfunktion

Zur Rolle von NGOs im Kontext Schule und des jeweiligen Bildungsauftrags existieren unterschiedliche Auffassungen. Wenn zivilgesellschaftliche Bildungsarbeit Globalen Lernens den staatlichen Bildungsauftrag ersetzen würde, hätte dies eine Abgabe der Verantwortung seitens des Staates zur Folge. Bildungsmaßnahmen Globalen Lernens, die in Zusammenarbeit mit außerschulischen Akteuren geplant und durchgeführt werden, sind daher als Unterstützung zu curricular festgelegten Aktivitäten zu verstehen. Sie vertiefen und hinterfragen Inhalte und bringen mit ihrem spezifischen Fach- und Methodenwissen oder ihrer politischen Botschaft einen Mehrwert im Vergleich zum „herkömmlichen“ Unterricht. In Schulentwicklungsprozessen begleiten externe Bildungsakteure die schulischen Akteure in deren Entwicklung.

 3. Rollenreflexion

Sowohl außerschulische als auch schulische Akteure sollen in der Zusammenarbeit ihre jeweiligen Rollen in der Bildungsaktivität reflektieren. Hierzu zählen insbesondere Fragen nach dem jeweiligen Bildungsauftrag (vgl. hierzu auch Kriterium 1) und der Motivation der außerschulischen Akteure für das Engagement in der schulbezogenen Bildungsarbeit. Die politische Rolle und Botschaft zivilgesellschaftlicher Akteure im Hinblick auf deren Arbeitsschwerpunkt muss thematisiert und transparent gemacht werden. Die Aufteilung von Aufgaben und Verantwortung von schulischen und außerschulischen Akteuren im Rahmen der Bildungsaktivität geschieht in gemeinsamer Absprache und entsprechend der jeweiligen Dienstaufgaben.

4. Beutelsbacher Konsens

Die Prinzipien der politischen Bildung (Beutelsbacher Konsens) sind für alle Bildungskontexte Globalen Lernens relevant, für den schulischen Kontext jedoch sind sie von besonderer Bedeutung – insbesondere, wenn außerschulische Akteure mit einer eindeutigen normativen Botschaft involviert sind. Trotz der offensichtlichen Parteilichkeit gelten das Verbot der Überwältigung und das Gebot der Kontroversität. Schulbezogene Bildungsaktivitäten Globalen Lernens dürfen keine Werte oder ein bestimmtes Verhalten indoktrinieren und kontroverse Debatten im Realleben müssen auch in der Schule kontrovers diskutiert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen in die Lage versetzt werden, den jeweiligen Sachverhalt und die eigene Interessenshaltung zu analysieren.

5. Schulorientierung: Anpassung an „innere“ Rahmenbedingungen

Ein Bildungsangebot soll in enger Zusammenarbeit zwischen außerschulischen und schulischen Fachkräften vorbereitet und durchgeführt werden. Die Perspektive der Partnerschule soll hierbei nicht vom Angebot des außerschulischen Partners überdeckt werden. Die schulischen Partner sollen Möglichkeiten der Anbindung an bestehende schulische Aktivitäten, an schulspezifische Leitlinien und Themen offenlegen. Schulspezifische organisatorische Rahmenbedingungen, wie z.B. die zeitliche Verfügbarkeit oder Nicht-Verfügbarkeit des Lehrerkollegiums, sollen ebenfalls thematisiert und in der Bildungsaktivität berücksichtigt werden.

6. Anschlussfähigkeit an politische Rahmenbedingungen

Das Bildungsangebot soll anschlussfähig an ein Fachcurriculum, an nationale oder internationale politische Leitlinien sein. Insbesondere soll ein Bezug zum Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung hergestellt werden (vgl. KMK/BMZ 2015). Bildungsaktivitäten Globalen Lernens sollen Chancen nutzen, die sich aus diesen externen Rahmenbedingungen für die Bildungsarbeit in der Schule ergeben.

 

Literatur

Bergmüller, Claudia (2012): Schulen und NROs als Qualitätsmanager des Globalen Lernens. In: VENRO (Hg.): Jahrbuch Globales Lernen 2012. Wirkungsbeobachtung und Qualitätsentwicklung. Erfahrungen – Herausforderungen – Perspektiven. Bielefeld, S. 7–16. Online verfügbar unter http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/2012_Jahrbuch_GlobalesLernen.pdf. zuletzt geprüft am 29.01.2014.

Bergmüller, Claudia; Scheunpflug, Annette; Franz, Julia; Krogull, Susanne (2013): Zur Überprüfung entwicklungsbezogenen Lernens. Anmerkungen zum VENRO-Diskussionspapier “Wirkungsorientierungen in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit”. In: Zeitschrift für Evaluation (1), S. 151–161.

BER (2012): Wirkt so. Handreichung zur Wirkungsorientierung. Herausgegeben vom Berliner entwicklungspolitischen Ratschlag und der Stiftung Nord-Süd-Brücken. Berlin 2012.

BER (2015): Wirkt so oder so. Zweite Handreichung zur wirkungsorientierten Antragstellung in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit, herausgegeben vom Berliner entwicklungspolitischen Ratschlag und der Stiftung Nord-Süd-Brücken. Berlin 2015.

KMK / BMZ (2015): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. in Vorbereitung. KMK / BMZ.

Rosenboom, Jana; Wenzel, Jan (2012): Qualität debattieren? Zur Debatte über Qualität und Wirkung in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit. In: ZEP 2012 (2), S. 24-27.

Scheunpflug, Annette; Bergmüller, Claudia; Schröck, Nikolaus (2010): Evaluation entwicklungsbezogener Bildungsarbeit. Eine Handreichung. Münster, New York, NY, München, Berlin: Waxmann. Online verfügbar unter http%3A//www.worldcat.org/oclc/646131576, zuletzt geprüft am 29.05.2015.

Transfer 21 (2007): Qualitätsentwicklung “BNE-Schulen! Qualitätsfelder, Leitsätze, Kriterien. Erstellt von der „AG Qualität & Kompetenzen“. Online verfügbar unter http://www.ensi.org/media-global/downloads/Publications/127/Orientierungshilfe_Qualitaetskriterien.pdf, zuletzt geprüft am 29.05.2015.

VENRO (2012a): Qualitätskriterien für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit. VENRO-Diskussionspapier 1/2012. Hg. v. VENRO (VENRO-Diskussionspapiere, 1/2012). Online verfügbar unter http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/2012_Diskussionspapier_Bildung.pdf. zuletzt geprüft am 29.05.2015.

VENRO (2012b): Wirkungsorientierung in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit. VENRO – Diskussionspapier 2/2012.

VENRO 2014: Wirkungserfassung in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit. Eine methodische Bestandsaufnahme von Evaluationen zivilgesellschaftlicher Angebote.

Welthaus Bielefeld (2007): Beurteilungskriterien von Unterrichtsmaterialien für das “Globale Lernen”. Hrsg. v. Welthaus Bielefeld. Online verfügbar unter: http://doku.cac.at/0709_pw_beurteilungskriterien_ums_globales_lernen.pdf, zuletzt geprüft am 30.05.2015.

 

 

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