Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen: Transformatives Lernen in evangelischer Bildungsverantwortung

von Sonja Richter
–> zum Download des vollständigen Artikels, erschienen in CI-Informationen 2-2015

Die Agenda 2030 und die Sustainable Development Goals (SDGs)

Am 25. September 2015 unterzeichneten 193 Staats- und Unbenannt_CI_INFORegierungschefs die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf der UN-Vollversammlung in New York. ZentralerBestandteil dieses Programms sind 17 neue Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals – kurz: SDGs. Mit diesen verpflichtet sich die Weltgemeinschaft, Armut, Hunger und Krieg zu beenden und Zugang zu inklusiver, gleichberechtigter und qualitativ hochwertiger Bildung zu gewährleisten – um nur einige der ambitionierten Ziele zu nennen. Neu an den SDGs ist nicht nur die detaillierte Aufschlüsselung unterschiedlichster Handlungsfelder, sondern auch die Zielgruppe: Die SDGs richten sich explizit an alle Nationen – an Industrieländer ebenso wie an Entwicklungs- und Schwellenländer. Auch Europa, USA und China versprechen nun vor der Weltgemeinschaft, politisch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu handeln. Das normative Nachhaltigkeitsparadigma als Richtschnur allen Handelns steht hierbei für eine generationenübergreifende soziale, ökologische und ökonomisch gerechte Entwicklung für alle Bevölkerungsgruppen dieser Erde.

Übersicht_Agenda 2030

Doch wie gelingt die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele bis 2030? Eine Antwort ist hierbei internationaler Konsens: Wir brauchen gesellschaftliches Umdenken und eine Transformation eingesessener Verhaltensmuster. Und genau hierfür ist es notwendig, Bildungskonzepte zu entwickeln, die diese Transformation hin zu einer nachhaltig handelnden Weltgesellschaft begleiten und unterstützen. Zahlreiche Studien zeigen, dass moralische Appelle und faktenbezogene Wissensvermittlung alleine nicht genügen, um diese Transformation zu erreichen. Erziehungswissenschaftler(innen) und Pädagog(innen) sind gefragt, didaktische Methoden zu entwickeln und Lernumgebungen zu schaffen, die Bewusstsein für globale Zusammenhänge und Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung aufzeigen.

Bildungskonzepte im Kontext nachhaltiger Entwicklung

Bildungskonzepte im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung verstehen sich als Antwort der Erziehungswissenschaft auf die Globalisierung (Scheunpflug / Schröck 2000)[1]. Das Konzept einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) ist ein Dachkonzept unterschiedlicher pädagogisch-didaktischer Ansätze, die einen Beitrag zur Bildung mündiger und handlungsfähiger Weltbürgerinnen und -Bürger leisten wollen. BNE, mit seinen Wurzeln in der Umweltbildung, spannt heute den Bogen über die unterschiedlichen Dimensionen nachhaltiger Entwicklung und bezieht soziale, ökologische und ökonomische Entwicklungsdimensionen mit ein. Mit dem von der UNESCO ausgerufenen Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist BNE auch auf der politischen Agenda international und national präsent.

Das Bildungskonzept Globales Lernen entstammt hingegen der Tradition entwicklungspolitischer Informations- und Bildungsarbeit (früher: „Dritte-Welt-Pädagogik“) und betont besonders die globale Dimension, die auch in Lern- und Bildungsprozessen Eingang finden soll. Die Abbildung globaler Zusammenhänge geschieht im Globalen Lernen über die Reduktion von Komplexität und eine Erweiterung des eigenen Horizontes.

Die Wirkungsebenen von Bildungskonzepten im Kontext nachhaltiger Entwicklung lassen sich wie folgt beschreiben: Auf der Persönlichkeitsebene will Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen ein Bewusstsein für Globalisierung und deren Folgen in unterschiedlichen Themenfeldern schaffen. Die Handlungsebene zielt darauf ab, den Lernenden die Möglichkeit zu bieten, die eigene Handlungskompetenz zu erkennen und konkrete Handlungsmöglichkeiten auszuloten – und diese schließlich anzuwenden. Dabei stehen Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung für eine kompetenzorientierte Bildung, für innovative, ganzheitliche Methoden und ein Bildungsverständnis, das sich selbst im Zuge globaler Entwicklungen auch in Zukunft immer wieder transformiert.

Übersicht_Was_ist_GL

Bildungshandeln in christlich-evangelischer Verantwortung

Die in der ökumenischen Bewegung verankerte Trias Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ist ein zentrales christliches Leitbild und hat Implikationen für kirchliches Bildungshandeln. Dieser Dreiklang lässt sich verbinden mit dem säkular geprägten Motiv einer nachhaltigen Entwicklung.. Vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Strebens nach Gewaltfreiheit, Toleranz, Solidarität und Erhaltung unserer Lebensgrundlagen stellt Lernen im Horziont dieser Einen Welt eine Herausforderung insbesondere auch für religiöse Bildung dar. Bildungshandeln in evangelischer Verantwortung wird in Dokumenten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschrieben. In den 10 Thesen zum Religionsunterricht fordert der Rat der EKD, dass Globales Lernen im Zeichen von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu den Grundanliegen christlicher Bildung zählt, die aktiv wahrgenommen werden sollen (EKD 2006, S. 5). Die aktuelle Denkschrift des Rates der EKD zum Religionsunterricht fordert, dass evangelischer Religionsunterricht einen Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule in Zeiten religiöser und weltanschaulicher Vielfalt leisten muss. Schule soll die Entwicklung des individuellen Wertekanons von Schülerinnen und Schülern fördern und so auch religiöse Orientierung ermöglichen. Sie sollen lernen, sich in religiösen oder weltanschaulichen Konflikten zu positionieren und zurechtzufinden (vgl. EKD 2014)- mit dem impliziten Ziel, den eigenen Wertekanon auch auf ihr Handeln anzuwenden. Aber auch außerhalb des Religionsunterrichtes steht evangelisches Bildungshandeln in vielen Kontexten explizit unter dem Leitbild von Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit: Ob in Bildungsaktivitäten auf Gemeindeebene, im (Fort-)bildungsangebot der zahlreichen Bildungsstätten in evangelischer Trägerschaft oder durch die Förderung entsprechender Bildungsprojekte, wie zum Beispiel über die Inlandsförderung von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. Die Orientierung im Hinblick auf ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen spiegelt sich auch im Jahresthema 2016 der Reformationsdekade wider. Unter dem Motto „Reformation und die Eine Welt“ im letzten Dekadejahr vor dem Reformationsjubiläum spricht EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm von einer ‘Reformationsbedürftigkeit‘ unseres Handelns und Verhaltens in der Welt.[2] Evangelisches Bildungshandeln muss zu dieser Transformation einen Beitrag leisten.

Das Comenius-Institut als evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft beschäftigt sich in unterschiedlichen Arbeitsbereichen mit kultureller und religiöser Vielfalt und Gerechtigkeit im evangelischen Bildungshandeln. Seit vielen Jahren setzen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Comenius-Institut für die praxisnahe Weiterentwicklung und Integration von Bildungskonzepten ein, welche die soziale Ungerechtigkeit, globale Vernetzungen und lokale Auswirkungen zwischen den Ländern des Nordens und den Ländern des Südens thematisieren. Im Fokus der derzeit am Comenius-Institut angesiedelten Fachstelle GLiS – Globales Lernen in der Schule steht das Bildungskonzept Globales Lernen und seine Verankerung im Kontext Schule. Die von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst geförderte Stelle versteht sich als Antwort auf die vielfach geforderten Implementierung von globalen Themen und entsprechenden Methoden im Bereich formaler Bildung. Als Fach- und Vernetzungsstelle bringt die Fachstelle GLiS Theorie- und Praxiswissen zusammen und vernetzt zivilgesellschaftliche, staatliche und kirchliche Akteure, die sich für die Integration von Globalem Lernen im schulischen Kontext engagieren.

Übersicht_Fachstelle_GLiS

Weiterlesen:

Sustainable Development-Plattform: https://sustainabledevelopment.un.org/
Zukunftscharta Deutschland: www.zukunftscharta.de
Portal des Weltaktionsprogramms „Bildung für nachhaltige Entwicklung: www.bne-portal.de

Literatur:

[1] Vgl.: Scheunpflug, Annette; Schröck, Nikolaus (2000): Globales Lernen. Einführung in eine pädagogische Konzeption zur entwicklungsbezogenen Bildung. Stuttgart: Brot für die Welt.

[2] Vgl.: EKD (2015): Das Magazin zum Themenjahr 2016.

[3] Vgl.: Scheunpflug, Annette; Schröck, Nikolaus (2000): Globales Lernen. Einführung in eine pädagogische Konzeption zur entwicklungsbezogenen Bildung. Stuttgart: Brot für die Welt.

Dieser Beitrag ist in den CI-Informationen 2-2015 erschienen.